Franz Kafka - Erzählungen: Vor dem Gesetz

1. Inhalt

Zu einer Instanz, bezeichnet als das Gesetz, kommt ein Mann vom Land. Sein Lebensziel ist es, in das Gesetz zu gelangen. Ein Türhüter verbietet dem Mann den Eintritt, stellt aber einen möglichen Einlaß in der Zukunft in Aussicht. Er schreckt aber den Mann vom Lande durch Drohungen ab, schildert das Innere des Gesetzes und warnt vor den nach ihm folgenden Türhütern. Im Laufe der Jahre die er wartet, fixiert sich der Mann auf den ersten Türhüter als einziges Hindernis. Er unternimmt immer wieder Versuche in das Gesetz zu gelangen. Auch Bestechung bleibt erfolglos, der Türhüter nimmt die Geschenke nur an, damit der Mann nicht glaubt etwas unversucht gelassen zu haben. Schließlich ist der Mann alt geworden: Er verliert langsam sein Augenlicht. Zuletzt vermeint er aber einen "Glanz" aus der Tür des Gesetzes scheinen zu sehen. Kurz vor seinem Tod stellt er dem Türhüter eine Frage, die er ihm bis jetzt noch nicht gestellt hat, er möchte wissen, warum niemand außer ihm in den vielen Jahren Einlaß verlangt hätte. Die Antwort lautet, daß niemand sonst hier Einlaß erhalten hätte können, denn der Eingang wäre nur für den Mann vom Lande bestimmt gewesen.

2. Textelemente

Der Text beinhaltet drei dominierende Elemente: Den Mann vom Lande, den Türhüter und das Gesetz.

2.1 Der Mann vom Lande

Über den Mann vom Lande sind nur wenige Tatsachen bekannt. Er möchte zum Gesetz und ist "für seine Reise mit vielem ausgerüstet". Seinen Vorstellungen nach "streben doch [alle] nach dem Gesetz" und "das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein". Diese Ansichten kann er aber nicht überprüfen, weil er nicht zum Gesetz gelangt, er bleibt also in relativem Unwissen gefangen. Die eigentliche Motivation für die Reise ist nicht bekannt.

2.2 Der Türhüter

Von ihm ist das Aussehen hinreichend bekannt. Der Türhüter steht vor dem Gesetz und verbietet dem Mann vom Lande den Eintritt verwehrt ihn aber nicht! Die Umstände seiner Existenz sowie die Richtigkeit seiner Aussagen sind aufgrund mangelnder Informationen nicht vollständig erschließbar.

2.3 Das Gesetz

Es wird als abstrakte, allgemeine Instanz dargestellt. Informationen über sein Inneres sind auf die Aussagen des ersten Türhüters, der selbst nur bis zum dritten Türhüter vorgedrungen ist, und auf einige wenige Textstellen beschränkt. Um in das Gesetz blicken zu können "bückt sich der Mann". Muß er sich bücken, um durch das Tor hindurchsehen zu können oder ist das dahinter Stehende sehr hoch oder sehr nah am Tor? Auch der "Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht" ist keine sichere Information, denn er könnte auch auf einem subjektiven Empfinden des alternden Mannes beruhen.

3. Interpretation (psychologischer Deutungsansatz)

Nach einem psychologischen Deutungsansatz stellt sich der Text als eine Geschichte von Verdrängung und Projektion dar. Der Mann ist gefangen zwischen dem selbstauferlegten Zwang in das Gesetz einzutreten und seinem Ängsten die diesem entgegentreten. Das Gesetz scheint ein furcht- und angsteinflößender Ort zu sein, er wird von schrecklichen Türhütern bewacht. Seinen Willen, in das Gesetz einzutreten, hat er deutlich geäußert und alle Vorkehrungen dazu sind auch getroffen. Als er nun tatsächlich eintreten soll, zeigt sich, daß er nicht den inneren Mut und Willen dazu besitzt. Der Türhüter verbietet dem Mann zwar den Eintritt verwehrt in aber nicht. Der Mann nimmt das Verbot des Türhüters als Instanz an, die seinen Ängsten verhilft sich durchzusetzen. Man könnte sogar soweit gehen, den Türhüter als eine Projektion, also Vorstellung des Mannes zu sehen, die es ihm möglich macht, seinen Ängsten nachzugeben, aber gleichzeitig nicht gegen seinen sich selbst auferlegten Zwang oder auch Willen zu verstoßen. Gestützt durch die Tatsache, daß der Eingang nur für den Mann vom Lande bestimmt war, zeigt er sich als ein individueller Ort, an dem der Mann vom Lande genau zwischen seinem Willen, seinen Zielen und seinen Ängsten stehen kann.

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